Ortlosigkeiten
einführungsrede zur ausstellung
Meine sehr verehrten Damen und Herren,
ich freue mich, dass ich heute mit Ihnen diese Ausstellung von Leena Krüger eröffnen darf. Ich hatte schon zwei Mal das Vergnügen, im Rahmen von Gruppenausstellungen über einige ihrer Arbeiten zu sprechen, eine Einzelausstellung ist doch aber immer spannender, weil dort in konzentrierter Form eine künstlerische Position gezeigt werden kann. Und dazu kommt noch, dass die Arbeiten in solch schönen Räumen wie denen des Künstlerhauses gehängt sind
Bevor ich auf ihre Art zu malen allgemein und dann an zwei Beispielen besonders eingehe, möchte ich Ihnen einige Daten zur Person der Künstlerin nennen – ich denke, dass gerade bei ihr der biographische Hintergrund eine wichtige Rolle für das Verständnis ihrer Arbeiten bietet.
Leena Krüger ist in Finnland geboren, hat dort Abitur gemacht, kam dann aber schon 1973 nach Deutschland, von 1984 bis 1992 hat sie mit ihrer Familie in Südamerika gelebt. Man kann also von ihr sagen, dass sie in ihrem Leben bereits verschiedene ›Heimaten‹ gehabt hat. Die Ursprungsheimat in Finnland, dann natürlich das jahrelange hier in Deutschland beheimatet sein, dazu kommen aber noch immerhin acht Jahre in Südamerika. Ich kann mit vorstellen, dass diese verschiedenen Orte, an denen sie gelebt hat und die sie dann sicher immer als ihre jeweilige ›Heimat‹ angesehen hat, dazu geführt haben, dass der Begriff ›Heimatort‹ für sie eine andere Bedeutung hat als für viele von uns, die wir überwiegend in einem Land oder gar an einem Ort gelebt haben .
Sie hat diese Ausstellung daher sicher nicht umsonst ›Ortlosigkeiten‹ genannt – dieses Wort ist im Duden nicht verzeichnet. Leena Krüger sagte mir im Vorgespräch, es gäbe ein finnisches Wort, das in etwa den Bedeutungsumfang von ›Ortlosigkeiten‹ habe. Dieses Wort ist ›Välitiloja‹. ›Välitiloja‹ ist schon klanglich ein so schönes Wort, dass ich es gern in meinen aktiven Sprachschatz übernehme. Aber auch inhaltlich scheint es etwas abzudecken, was sich im Deutschen nicht so einfach ausdrücken lässt. Es bedeutet unter anderem auch ›Zwischenräume‹, ich verstehe darunter Räume, die eben gerade nicht mit einer Bedeutung aufgeladen sind, wie es etwa ein richtiger ›Ort‹ ist.
Ich glaube, dass wir alle solche ›Ortlosigkeiten‹, solche ›Välitiloja‹ kennen. Sie sind eben nicht näher definiert, da ist nichts, was sich uns genauer eingeprägt hat, es existiert nur eine vage Erinnerung an etwas, was wir vielleicht aus einem Zug- oder Autofenster gesehen haben und wo wir Details unmittelbar hinterher wieder vergessen haben.
Leena Krüger malt also ›Orte‹, die gerade keine ganz bestimmten ›Orte‹ sind, es sind ›Landschaften‹, die nicht einen individuellen Landschaftsausschnitt zu einem Zeitpunkt wiedergeben – so wie man es beispielsweise von den Impressionisten kennt. Ihre Landschaften bilden so etwas wie den Extrakt von vielen Landschaften, sie sind vielleicht jeweils so etwas wie ›Landschaft an sich‹. Aus vielen Erinnerungsfragmenten an Gesehenes bilden sich mit den Jahren Landschaftsformen, die zwar keiner realen Landschaft gleichen aber doch in irgendeiner Form eine neue Form von Realität gewinnen. Vermutlich ist es aber so, dass sich solche ›abstrakten Landschaften‹ unserem kollektiven Gedächtnis eingeprägt haben.
In idealer Form komponierte Landschaften haben auch die Romantiker erfunden – auch sie stellten somit in gewisser Hinsicht ›Ortlosigkeiten‹ dar. Bei ihnen ist es aber immer so, dass sie einzelne Bildgegenstände mit Bedeutung aufladen.
Wie erreicht Leena Krüger diese ›Ortlosigkeit‹? Nun – sie geht zunächst einmal in allen ihren Bildern von einer größeren Distanz aus, die einzelnen Dinge treten in die Ferne zurück. Und dann ist es natürlich vor allem die Farbe und die Art des Farbauftrags, die in ihren Bildern eine ganz entscheidende Rolle spielt.
Die Bilder entstehen bei ihr so, dass sie von der reinen Malerei ausgeht. Dabei trägt sie im allgemeinen die Farbe in mehreren Schichten auf den Malgrund. Dabei hat sie hier neben der Leinwand auch Aluminiumplatten verwendet. Wie sie sagt, reizt sie häufig gerade die Strenge des Aluminiumgrundes, dieser in Verbindung mit den locker und frei aufgetragenen Farbschichten ermöglicht die eigenartige, auf andere Art und Weise nicht erreichbare Wirkung der Bilder.
Die Farbschichten werden dann wieder übermalt, teilweise wird die Farbe wieder abgekratzt – da die darüber liegenden Schichten teilweise transparent sind, kann man die darunter liegenden zumindest noch erahnen. Da sie eine sehr reduzierte Farbpalette – und dabei überwiegend dunkle Farbtöne verwendet – wird der unbestimmte, fast träumerische Charakter ihrer Arbeiten verstärkt. Wir sehen die Bilder an, erkennen etwas, was uns irgendwie bekannt vorkommt, werden aber gleichzeitig darauf verwiesen, dass es sich um Malerei und nichts als Malerei handelt.
Durch den Verzicht auf einen Rahmen können die Bilder auch über den Rand hinaus weiter gedacht werden – darauf werde ich später noch genauer zurückkommen. Zunächst aber möchte ich das bisher Gesagte an zwei Bildern etwas genauer darstellen:
Dieses große, leicht querformatige Bild trägt denselben Titel wie die ganze Ausstellung – es heißt ›Ortlosigkeiten‹. Und in der Tat kann man es als typisch für die Arbeiten von Leena Krüger und für die ganze Ausstellung ansehen. Fast stets gibt es in ihren Bildern Verbindungen zwischen ›natürlicher‹ Natur und künstlich von Menschen gemachten Dingen. Die Landschaft als das eher Ungegliederte und die Stäbe als vom Menschen gesetzte Zeichen.
Das Bild könnte das zeigen, was sich einem flüchtigen Betrachter beim Blick aus einem schnell fahrenden Zug oder Auto bietet. Im Vordergrund befindet sich vielleicht der Querbalken des eigenen Fensters, irgendwelche Pfähle könnten ›draußen‹ in der Landschaft stehen. So etwa könnte eine inhaltliche Anmutung sein. Schaut man sich das Bild aber dann etwas genauer an, dann stellt man fest, dass dieser erste Eindruck durch die Malerei in Frage gestellt wird.
Leena Krüger hat auf einem durch waagerechte Striche unruhig wirkenden graublauem Grund zwei leicht nach links verschobene schmale senkrechte und einen verhältnismäßig breiten, waagerechten Balken gemalt. Der Hintergrund ist eher in trüben Grautönen gehalten, die senkrechten Stelen haben ein etwas dunkleres Blauschwarz und der waagerechte Balken ist eher Hellblau.
Interessant ist, wie sie die grauen Töne ausmischt. Wir kennen ja ›Grau‹ im allgemeinen nur als eine Mischung von Schwarz und Weiß – hier sind es aber ausgesprochen farbige Grautöne, die von der Künstlerin verwendet werden. Sie erreicht diese wunderbar gebrochenen Farbtöne dadurch, dass sie die Grundfarben miteinander und mit Schwarz und Weiß ausmischt.
Durch die Streifen oder Balken im ›Vordergrund‹ entstehen sechs unterschiedlich große Felder. Wie schon gesagt, scheint es zunächst so zu sein, dass diese Felder den Hintergrund für die davor liegenden Streifen darstellen. Nun laufen aber so etwas wie ›Wischungen‹ des ›Hintergrunds‹ über diese ›Balken‹ hinweg.
Zweierlei erreicht sie dadurch: Erstens hat man so das Gefühl des schnellen Vorbeifahrens, dadurch wird die ›Ortlosigkeit‹ verstärkt. Und zweitens sieht es nun so aus, als ob der ›Grund‹ teilweise nach vorn vor die Streifen tritt. Dadurch entsteht eine Irritation, die das eigentlich ›hinten‹ vermutete und das, was ›vorn‹ sein müsste, miteinander verbindet.
Leena Krüger erreicht so, dass die Tatsache des Malens, dass der eigentliche Malakt in den Vordergrund tritt.
Charakteristisch für Leena Krüger und ihre Art der Hängung ist, dass sie sehr bewusst unterschiedliche Formate miteinander kombiniert. Hier ist es die Zusammenstellung dieses großen Querformats mit dem kleinen Querformat und dann dem großen Hochformat. Ich werde später noch genauer auf dieses Faktum der Präsentation eingehen – es scheint mir ein weiterer Schlüssel zu ihrem Werk zu sein, zunächst möchte ich mir mit Ihnen noch dieses kleine Bild die ›Außenbezirke‹ etwas genauer anschauen.
Wieder sieht man in eine Landschaft, im unteren Teil gibt es eine überwiegend in Ockertönen gehaltene Fläche, in ihr – es könnte sich um eine Sandlandschaft, vielleicht eine Wüstenebene handeln – laufen von vorn nach hinten schmaler werdende Spuren wie die Radspuren eines Autos. Darüber befindet sich ein farbig grauer Himmel.
Am Horizont auf der rechten Seite scheint eine helle Erhebung zu sein, von links außen bis zur Bildmitte erheben sich schwarze Stelen.
Im Vorgespräch hat mir Leena Krüger zwei Zitate von Jacques Derrida genannt, die sie für ihre Arbeit als wesentlich ansieht. Da geht es einmal um ›Zeichen‹ – so wie wir sie in den Stelen auf der linken Seite finden. Nach Derrida stellt das Zeichen „das Gegenwärtige in seiner Abwesenheit dar.“ Die Stelen stehen sicher für etwas anderes – platt gegenständlich gesprochen können es vom Menschen aufgerichtete Pfähle oder Masten sein. In ihrem Bild stehen diese Stelen eben für das, was der Mensch in die Natur setzt oder stellt.
Das zweite Zitat bezieht sich auf die Spuren. Sie „verweisen auf etwas zuvor Präsentes, das nun abwesend ist.“ Die Spuren lassen uns also einerseits ein Auto oder ähnliches vermuten, das hier vorbeigefahren ist, in der zweiten Ebene kann man das ganze Bild als eine Spur lesen – das Bild verweist auf die Malerin, die in dem Bild ihre Spur hinterlassen hat.
Und damit ist es wieder wie bei dem zunächst besprochenen Bild – durch die Art und Weise der Malerei wird einerseits die Illusion geschürt, dass es sich um einen Blick in eine reale Landschaft handelt, andererseits wird genau das durch über die Leinwand laufende Spuren von Farbe negiert.
Zum Abschluss möchte ich noch einmal auf die Art der Präsentation eingehen. Es ist typisch für Leena Krüger und ihre Art zu arbeiten, dass sie nicht nur das einzelne Bild im Kopf hat. Wenn Sie schon einmal durch die Ausstellung gegangen sind, wird Ihnen sicher aufgefallen sein, wie die Künstlerin in dem hinteren Raum die vielen kleinen quadratischen Bilder angeordnet hat. Durch diese Art der Hängung wird etwas suggeriert, was Renaissancekünstler erstmals so formuliert haben. Sie sahen das Bild als eine Art ›Fenster‹ an, durch das man in die Wirklichkeit hinausschaut. Die Wand, vor der die vielen Bilder hängen, sieht in der Tat ›durchbrochen‹ aus – die Bilder wirken wie farbige Fenster, durch die wir in eine Wirklichkeit sehen können, von der wir nur etwas ahnen – die Künstlerin hat sie für uns sichtbar werden lassen.
Leena Krüger ist eine Künstlerin, die gewissermaßen parallel zur Natur arbeitet. Sie verwirklicht in ihrer Malerei das, was Paul Klee einmal so ausgedrückt hat: „Kunst gibt nicht das Sichtbare wieder, Kunst macht sichtbar.“
Ich wünsche Ihnen viel Vergnügen mit den Ein- und Durchblicken in eine Welt der Välitiloja!
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Dr. Rainer Grimm