wir betreten feuertrunken
einführungsrede zur ausstellung
Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Freundinnen und Freunde der Kunst und des Künstlerhauses,
Liebe Diana Janecke, liebe Leena Krüger und lieber Matthias Walliser,
Der weiße Saal zunächst leer wie ein unbeschriebenes Blatt, oder eine weiße Leinwand wurde immer wieder zum integralen Bestandteil der hier stattfindenden Ausstellungen. War er vielfach klassischer Ausstellungsraum, so besetzten in anderen Präsentationen Objekte den Raum, oder er wurde durch Installationen verwandelt. Ebenso integrierten sich Schrift, Sprache und Ton in die Konzepte und Arbeiten. Deren Verwendung ist heute in der bildenden Kunst selbstverständlich geworden und wurde teilweise zum eigenständigen Kommentar.
Diese Nachbarkünste – wie zum Beispiel die Schrift – bildeten schon Anfang des letzten Jahrhunderts grundlegende Komponenten vieler Avantgarde -Strömungen wie: Dadaismus, Kubismus, Surrealismus oder Pop Art, Konzeptkunst und Informel. Es ist der Beginn einer tiefgreifenden Veränderung, in der die Einzelkünste versuchen Eigenschaften der anderen Künste zu erlangen. Zuweilen verdrängt das neu integrierte Medium sogar das ursprüngliche. Man denke an die Malerei On Kawaras, oder an die seitenweise abgeschriebenen, seltenen Interviews von Hanne Darboven und die Lexikonauszüge Joseph Kosuths.
In der hier zu sehenden Ausstellung verschwindet ein Großteil der weißen Wände unter tapetenartigen Bannern und wir sehen Schriftzeichen, in Strophen gefasst und mit Datum in der Zeit verordnet. Ein raumgreifendes Schriftbild, das selbst Wand wird und uns einerseits zum Lesen der einzelnen Fragmente auffordert, uns aber gleichermaßen als “allover painting” ohne perspektivische Wertung umgibt. Lediglich die beiden Monitore halten den vagabundieren Blick zunächst auf, bis wir beginnen, die tanzenden Versformen zu fixieren und hoffentlich mit Freude versuchen zu entziffern. Größtenteils sind die Zeilen als Strophen mehr oder minder vertikal angeordnet. Die wenigen, die horizontal verlaufen, scheinen uns aufzufordern, die Richtung des Blicks zu ändern und diesen auch an anderer Stelle horizontal wandern zu lassen. Benutzen Sie die Augen als Schere und setzen sie selbst die Verse neu zusammen, um neue Texte, neue Bilder zu evozieren.
Diana Janecke, Leena Krüger und Matthias Walliser sind drei individuell arbeitende KünstlerInnen, die sich seit 2014 zusätzlich als Künstlergruppe zusammengefunden haben. Nach eigenen Worten „befassen sie sich mit dem Phänomen Zeit, Kommunikation und den Umbrüchen zwischen digital und analog:“ Auch in dieser Arbeit versuchen sie sich durch Sprache und Spiel der täglichen Informationsflut anzunähern.
Der Anfang der hier zu sehenden Installation reicht in das Jahr 2017, wie das Datum eines “Gedichtes” verrät. Also ein langwieriges Projekt, dessen Dauer zu Beginn nicht festgelegt war und nun „vorerst“ im Monat Februar dieses Jahres endete. Traf man sich zu Beginn ca. einmal die Woche, so verdichteten sich die Zeiträume in den letzten beiden Monaten – man traf sich fast täglich – an den Daten im vorderen Teil der Installation abzulesen.
Spielvoraussetzungen sind: jeweils eine selbstgewählte Tageszeitung, eine Schere, ein Computer und ein möglichst bequemer Stuhl davor. Spieler/in eins fängt nun an sich für eine Überschrift aus der gewählten Zeitung zu entscheiden und diese per mail an Nr.2 zu senden, die/der auf die Zeile reagiert und nur seine/ihre Auswahl wiederum an Nr.3 sendet. Danach beginnt eine neue Runde. Das Privileg, den ersten inhaltlichen Anstoß zu geben, wird relativiert durch den Zufall der regionalen und überregionalen Ereignisse, sowie durch Auswahl und Wertungen der Zeitungsredaktionen. Zudem wird die Richtung des Spielverlaufs immer wieder geändert und bei der nächsten Strophe macht eine andere Person den Anfang. Für jeden Durchgang aber gilt, dass jeder/m Mitspieler/in nur jeweils die Überschrift, des vorherigen Akteurs/in mitgeteilt wird. Das Endprodukt, das fertige Gebilde, bekommen alle nur am Ende des Prozesses zu lesen.
Somit wird dem Versuch, die eigene Auswahl inhaltlich auf das Ganze zu beziehen, eine Grenze gesetzt. Es bleibt bis zum Ende des jeweiligen Gedichts lediglich die Möglichkeit assoziativ auf die vorrangegangene Zeile zu reagieren. Damit werden plakative Botschaften in einen Kontext verwiesen, der ihre Inhalte entleert und durch eine neue Form und Einsatz eines ästhetischen Verfahrens – unterminiert.
Die Länge der Strophe wird zu Beginn durch die vorgegebene Zahl der Umläufe festgelegt, einfach: jeder darf eine bestimmte Anzahl von Versen beitragen. Die Regel wird ignoriert, wenn der Prozess besonders gut läuft. Es kann aber auch geschehen, dass ein vorzeitiger Abbruch durch alltägliche Anforderungen erzwungen wird. Aus dem fast mittig im Wandbild platzierten Monitor tönt eine Computerstimme, die die Mails, die diesen Einbruch des Alltags schildern, emotionslos monoton vorliest. Die Stimme hören wir im Wechsel mit einer Auswahl der im Computer verfassten Strophen, die in einem bestimmten Rhythmus über den Bildschirm laufen, bzw. flackern. Hier überlagern sich fiktionale Textebene und reale Handlungsebene.
Die entscheidende künstlerische Bearbeitung der Strophen war das Kleben der Verse auf lange Papierbahnen im Atelier von Matthias Waliser. Ein weiterer Monitor (links unten im Bild) zeigt einen Blick aus dem Fenster des Ateliers und man sieht dort Hühner und Bäume, manchmal windbewegt. Hier verweist die Künstlergruppe auf eine weitere Realitätsebene, die während der der künstlerischen Produktion besteht.
Das Verfahren, das die Künstlergruppe in diesem Projekt angewandt hat, lässt sich der sogenannten Cut Up – Schnitttechnik zuordnen. Auch wenn bei ihnen der Zufall gelenkter erscheint, so wird doch wie bei der Cut Up Technik vorhandener Text nach bestimmten Regeln zerschnitten (bzw. in unserem Fall fragmentiert) und zu einem neuen Text kombiniert und erfasst.
Der Präzedenzfall dieser Technik wurde im Dadaismus der 1920 Jahre geboren. Bei einer Kundgebung schlug Tristan Zara vor, ein Gedicht an Ort und Stelle zu schaffen, indem er zufällig ein Wort aus dem Hut zog. Dieses Wort war zuvor aus Zeitungen ebenso zufällig ausgeschnitten. Zara schrieb darüber einen Artikel mit dem Titel: „Das Wort im Hut“. Auch Hans Arp wählte nach dem Zufallsprinzip Wort- und Satzfragmente aus Anzeigen, Werbung und Inseraten aus und setzte sie neu zu Gedichten zusammen. Hier verabschieden sich die Künstler des Dadaismus radikal vom Typus des Künstlergenies.
Diese Verfahren, die letztlich Collage- und Montagetechniken der Bildenden Kunst adaptierten, wurden in den späten 1950 Jahren in der Avantgarde- und Beatliteratur durchgespielt. Es war Brion Gysin, ein mit Burroughs befreundeter Maler, der 1959 die Methode versehentlich wiederentdeckte. Als er auseinandergeschnittene Zeitungen zusammenlegte, um sie als Unterlage für seine Bilder zu verwenden, fielen ihm plötzlich die neuen Bedeutungen auf, die die zufälligen Satzkonstruktionen der Papierfetzen ergaben. Er stellte William S. Burroughs die Technik vor, der war sofort begeistert und begann noch am selben Tag mit ersten Experimenten. Beide haben diese später auf die Printmedien und Audioaufnahmen angewendet und ausdifferenziert. Burroughs und Gysin beeinflussten nicht nur etliche Künstler und Schriftsteller, sondern auch Musikstile. Zu hören ist dieser Einfluss im Beatles-Song „Tomorrow Never Knows“, aber auch in Punk und nicht zuletzt in Hip Hop und elektronischer Clubmusik, die mit ihren Samples aus Beats und Sounds musikalische Cut-Up-Werke schlechthin sind. Kurt Cobain experimentierte mit der Methode und wir können auf you tube David Bowie zusehen, wie er Texte mit der Cut Up Methode erstellt.
„Das Leben ist ein Cut-up. Sobald sie die Straße entlanggehen, wird ihr Bewusstsein von zufälligen Faktoren durchschnitten. Das Cut-up ist näher an den Tatsachen der menschlichen Wahrnehmung als die lineare Erzählung,“ sagte Burroughs einmal in einem Interview
Keine lineare Erzählung bietet uns das hier zu sehende -aus Printüberschriften collagierte – Wandbild. Vielmehr lässt es uns eine andere fragmentierte und damit neue Beschreibung von Welt und Welterfahrung lesen. Durch die Erweiterung der Sprachgrenzen werden unsere Alltagswahrnehmungen unterlaufen. Es ergeben sich neue Deutungen und Bedeutungen, die der Sprache von Zeitungsartikeln, Slogans und Werbung diametral entgegenstehen.
In einer Zeit der unbegrenzten, alles überflutenden Informationen und der fake news, wo Kriege immer auch Kriege um Worte und Bilder sind, wird das Cut Up zu einer subversiven Methode, der eine kritische und experimentelle Haltung immanent ist. Cut Up als Gegenstrategie zu Gedankenkontrolle und Manipulation. Es ist Matrix und Hintergrund für das Konzept der hier zu sehenden Installation. Der Künstlergruppe geht es in dieser Arbeit nicht um den individuellen Standpunkt, sondern sie verfolgt – auch unter Einbeziehung der ästhetischen Praxis – einen universellen sprachkritischen Ansatz.
Darüber hinaus ist es ein Vergnügen diese Strophen zu lesen, sie im Kopf kreisen zu lassen, zwischen Nonsens und Tiefsinn mit Augen und Gedanken zu pendeln und neue Verbindungen zu kreieren. Zu betonen ist die grafische Gestaltung der Wände, wo Buchstaben und Sätze zu Bildern werden, sich ausschnitthaft Bilder der Sprache anverwandeln. Es ist ein ästhetisches Sehvergnügen, hervorgerufen durch den künstlerischen Prozess beim Arrangement und Aufkleben der ausgeschnittenen Zeilen. Dem zufolge wurden z.B. auch Buchstaben, Überschriften in Form und Farbe verändert und weiter Eingriffe an der Wand vorgenommen, die das Wandbild strukturieren und zusammenbinden.
Etwas abseits hängt ein schwarzes Bild, an eine mit Kreide beschriebene Tafel erinnernd. Hier hat die Gruppe ihr Spiel variiert und den Zufall weiter zurückgedrängt. In dem sogenannten Ping Pong, antworten die Spieler/innen direkt aufeinander. Jeder spielt mit jeder/m – dreimal. Da immer alle Verszeilen bekannt sind, sind auch die Reaktionen direkter und das Ergebnis weniger überraschend. Umso mehr sollten wir uns aufgefordert fühlen, aus den vorgefundenen Zeilen unsere eigenen Strophen zu bilden.
Mit dem Wandbild und den darauf collagierten Strophen setzt die Künstlergruppe ein Zeichen gegen die Haltung der Alternativlosigkeit, die unser Denken und Handeln auf so vielen Ebenen bestimmt. Es ist die Einladung, ein wenig mehr die Cut Up Methode in unser Denken und unseren Alltag zu integrieren.
Zum Schluss möchte ich Ihnen noch ein Gedicht aus dem Werk unserer Künstlergruppe vorlesen:
Begrüßung der Läufer im dunklen Dorf
Hannover
Stadt der Hoffnung
Pfeifen im Walde
Und wenn die Blase platzt?
Wie befreit
Der Husten der Briten
Weiter dieseln
Der Klang der Wolke
Schön peinlich
Macron am Kickertisch
Königlich
Bloß nicht kratzen
Krümelig aber wohlduftend
Branding statt Alchemie
Nach Tisch: Nachtisch
Gegen Hippies im Rock-Cafe
Werde der du bist
Und jetzt noch ein kurzer Blick zurück ins 20te Jahrhundert nach Hannover zu Kurt Schwitters. Auch dieser verwendete ohne Abänderungen in seinen Merzdichtungen fertige Sätze aus Zeitungen, Plakaten, Katalogen usw., gehört somit auch zu den Kunst – Ahnen unserer Gruppe. Wir haben die Freude Ihnen ankündigen zu können, dass dieser „alias Werner Zülch“ vom Aktionstheater Kassel am 29.3. um 19Uhr diese Ausstellung besuchen wird. Sie können dabei zusehen und zuhören, wie uns in einer szenisch spielerischen Vortragsaktion, in einem Miniaturuniversum visueller Elemente, mit performten Situationen und Texten ein Einblick in seine Kunst vermittelt wird.
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Christel Irmscher